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Titelstory: Nirvana – Das letzte Jahr der Grunge-Legende

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Titelstory: Nirvana – Das letzte Jahr der Grunge-Legende

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Interview
„Wir schlachten es gründlich aus“

IN UTERO, das letzte und nach Meinung vieler Fans beste Album von Nirvana, wird im September 20 Jahre alt. Aus diesem Anlass wird die Platte in deutlich aufgemotzter Form (mit Remixen und Bonusmaterial) wiederveröffentlicht, und der vergleichsweise zurückhaltend lebende Bassist Krist Novoselic ließ sich breitschlagen, ein paar Telefoninterviews zu absolvieren.

Interview: Steffen Rüth

Krist, wie wirst du selbst das 20-jährige Jubiläum von IN UTERO zelebrieren?
Ach, wir haben unsere Feierlichkeiten eigentlich schon abgeschlossen, indem wir das Remixalbum zusammengestellt haben. Wir haben auch noch ein paar Bonustracks gefunden und alles neu gemastert…es gibt noch ein Live-Video. Also, was soll ich sagen? Wir schlachten es gründlich aus, unser Jubiläum (lacht).

Dieses Werk ist ein echtes Festessen für einen Nirvana-Fan – insgesamt sind es, wenn ich richtig gezählt habe, drei CDs, eine DVD und Bonusmaterial. Man kann, sofern man denn möchte, ein komplettes Wochenende mit dieser Veröffentlichung verbringen.
Ja, so soll es auch sein. Diese Jubiläumsausgabe ist für die Fans gedacht, für solche Leute, die alle Bootlegs sammeln, die alle Downloads haben, die sämtliche Liveshows kennen….Und warum auch nicht? Da draußen läuft immer noch eine unfassbare Zahl von Nirvana-Fans durch die Gegend. Und wir geben ihnen hier tatsächlich noch ein paar kleine Bonbons, die sie noch nicht gelutscht haben.

Fasziniert es dich, dass die Fans immer noch alle da sind? Du hörst dich fast überrascht an?
Natürlich ist es ein Segen und keine Selbstverständlichkeit, dass unsere Musik sich so gut hält. Dass sie nicht altbacken wirkt. Ich bin der Ansicht, dass die Unverbrauchtheit, die Nirvana-Songs bis heute ausmacht, auf Kurt Cobain und seiner künstlerischen Vision basiert. Kurt wusste damals schon, dass unsere Songs ihn selbst lange überdauern werden. Und sie haben eine so starke persönliche Bedeutung für sehr viele Menschen, sie finden so viel in unserer Musik, und sie finden letzten Endes vielleicht auch etwas besser zu sich selbst, wenn sie unsere Songs hören. Und das finde ich natürlich phantastisch.

Hat sich deine eigene Perspektive auf IN UTERO heute, mit 20 Jahren Abstand, verändert?
Ich selbst habe mich natürlich verändert seitdem. Damals war ich 28, kaum erwachsen, heute bin ich ein 48 Jahre alter Mann mit einiger Lebenserfahrung. Was das Album als solches angeht, war es uns wichtig, es insgesamt ein wenig mehr atmen zu lassen. Daher auch die Remixe. Wir wollten, dass die Lieder noch etwas klarer und besser zum Vorschein kommen. Wir haben den Sound geöffnet und hauchen den Songs ordentlich viel Sauerstoff ein.

Das Album habt ihr damals mit Steve Albini produziert, der für schnörkellosen Schrammelsound steht und mit euch ein Album machte, das eure eigene Plattenfirma zunächst nicht veröffentlichen wollte.
Die Umstände damals waren ein bisschen extrem. Aufnehmen und Abmischen der kompletten Platte dauerte lediglich zwei Wochen, noch dazu spielte sich alles in der winterlichen, wilden Einöde von Minnesota ab. Mitten im Wald, eingeschneit, meine Fresse. Wir kamen dort an und dachten, wir werden verrückt. Und dann machten wir uns an die Arbeit, alles ging ratzfatz, der Song ›Serve The Servants‹ beispielsweise war nach nur einem Anlauf komplett im Kasten. Als wir jetzt an den Remixen saßen, entdeckten wir ein weiteres Gitarrensolo auf dem Stück, das damals praktisch im Lärm verschüttet war. Dieses Solo holten wir nun nach vorne, was ›Serve The Servants‹ eine interessante neue Komponente verleiht.

Wie nanntest du das Studio damals noch gleich?
Gulag! (lacht) Es war so kalt, wir waren so dermaßen von der Welt isoliert, ebenso gut hätten wir auch in Sibirien sein können. Aber in Wirklichkeit war es natürlich kein Gefangenenlager. Das Haus war schön geräumig und gut geheizt, wir hatten auch immer gut und genug zu essen. Aber es war wirklich harte Arbeit. Ich bin in Kalifornien geboren, ich war dieses krasse Klima, diesen extremen Frost, nicht gewohnt.

Während NEVERMIND von Butch Vig produziert wurde, hat Steve Albini dann IN UTERO produziert. Ihr wolltet damals bewusst seinen rauen, aggressiven, kargen Sound, um nicht zu kommerziell zu klingen, oder?
Ja, das war eines der Argumente für Albini. Der Idee, mit Steve zu arbeiten, ist insbesondere Kurts Wunsch gewesen, und er geht zurück in die Zeit vor NEVERMIND. Das von Steve Albini produzierte Album SURFER ROSA der Pixies war eine von Kurts absoluten Lieblingsscheiben. Er lag uns immer in den Ohren mit Kommentaren wie „Hört euch mal diesen Drumsound an“. Er liebte das Rohe, diesen Kontrast aus zurückhaltenden Strophen und großem Refrain. Die Pixies waren also der wichtigste Einfluss auf dieses Album.

Nachher fandet ihr den Sound etwas zu roh und habt die Singles ›Heart-Shaped Box‹ und ›All Apologies‹ von Scott Litt neu abmischen lassen. Was steckte hinter dieser Entscheidung?
Es fühlte sich damals so an, als sei das unsere Pflicht und Verantwortung als Nummer-Eins-Band und als Rockband, die Radiohits hat. Der Konsens war, dass die Platte zu extrem und zu dreckig klang für den Mainstream, und dass wir sie ein Stück weit reinigen mussten. Als riesengroße R.E.M.-Fans liebten wir deren Alben DOCUMENT und AUTOMATIC FOR THE PEOPLE, das seinerzeit gerade rauskam. Und Scott Litt war der Produzent von R.E.M., also entschieden wir, dass wir mit ihm arbeiten wollten. Scott war ein total entspannter Typ, ganz anders als Steve Albini. Wir mischten die Songs mit ihm in Seattle, im selben Studio, in dem zuvor auch AUTOMATIC FOR THE PEOPLE aufgenommen worden war.

Wir wissen ja alle, dass Kurt nicht gut mit dem Ruhm zurechtkam, aber wie war der gigantische Mainstreamerfolg für dich persönlich?
Nun, für mich war es eine krasse Umstellung, plötzlich eine Berühmtheit zu sein. Zumal ich immer jemand war, der eben nicht in dieser Mainstreamwelt lebte, weder gedanklich noch real. Ich kam vom Punkrock. Aber ich kann dir eins sagen: Ich bin verdammt gut bezahlt worden. Ich bin heute und rückblickend sehr froh über den damaligen Erfolg, er ist ein Segen. Finanziell mit Ende 20 ausgesorgt zu haben und bis heute immer noch gute Einnahmen mit deiner Musik zu erzielen, mag sich für manche wenig cool anhören. Für mich aber ist es sehr beruhigend. Von daher wirst du nie erleben, dass ich herumheule nach dem Motto „Ohhh, der schreckliche Erfolg hat mein Leben zerstört“.

Sind Nirvana nicht trotzdem zu groß geworden, um noch von euch beherrschbar zu sein?
Kurt hatte als Frontmann mit Abstand den härtesten Druck auf seinen Schultern. Er war der Songwriter, der Gitarrist, er bekam den Löwenanteil der Aufmerksamkeit. Das bekam ihm nicht gut. Dazu hatte er persönliche Schwierigkeiten, die den Druck auf ihn noch verstärkten. Und, scheiße, er hat es nicht gepackt, er hat die Kurve nie bekommen. Das spricht im Grunde für sich.

Hat die Arbeit an IN UTERO unter seinen Depressionen und seiner Drogensucht gelitten?
Das denke ich nicht. Was uns als Band zusammengehalten hat, war unser Zusammenspiel. Immer, wenn es Probleme gab, und das hört sich jetzt kitschig an, haben wir uns in unseren Probenraum verzogen und erstmal zusammen Musik gemacht. Die Türen waren zu, und der Ärger blieb draußen. Wir spielten toll zusammen, und wir spielten wirklich gerne zusammen. Es war immer ein sehr wohliges Gefühl, wenn wir wieder dabei waren, einen neuen Song gemeinsam zu entwickeln und zu schreiben. Vieles lief bei uns spontan ab, und das war es, was uns am Laufen hielt. Das Musizieren war unsere Gruppentherapie. Die Musik war die Quelle von allem, alles weitere, was in unserer Karriere passierte, passierte wegen unserer Musik. Als es also ins Studio ging, um IN UTERO einzuspielen, waren wir bestens vorbereitet und überzeugt davon, eine wirklich gute Band zu sein. Als Steve „Aufnahme“ drückte, legten wir mit ›Serve The Servants‹ los, fanden den Song klasse, okay, nächstes Stück. Wir drei waren damals wirklich sehr gut in Form.

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