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Rückblende: Jimi Hendrix mit ›Dolly Dagger‹

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Rückblende: Jimi Hendrix mit ›Dolly Dagger‹

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Wie der berühmteste Uhrturm in London und Jimis Hauptgroupie seinen letzten großen Song inspirierten.

Frühmorgens an einem Tag im August 1969 saß Billy Cox auf der Terrasse des Hauses im Bundesstaat New York, das er gemeinsam mit Jimi Hendrix und Schlagzeuger Mitch Mitchell bewohnte. Während er die auf einer benachbarten Wiese grasenden Kühe betrachtete, spielte er immer und immer wieder ein Muster aus vier Noten durch seinen Verstärker. „Ich hatte neue Saiten aufgezogen und spielte ‚Doodoo-dum-dum‘ – das Leuten von Big Ben“, so Cox. „Jimis Zimmer war direkt über mir und er riss das Fenster auf. Er sagte: ‚Warte mal! Spiel das weiter, hör nicht auf!‘ Er kam in Unterhosen hinunter, schnappte sich seine Gitarre und vollendete das Riff. Das war die Entstehung von ›Dolly Dagger‹.“

Hendrix, Cox, Mitchell und diverse Freunde waren im Shokan House, um sich auf ihren Auftritt beim Woodstock Festival vorzubereiten. „Aber in Wahrheit mietete Jimi das Haus, um einen klaren Kopf zu bekommen, und Billy mitzubringen, war entscheidend für den ganzen musikalischen Vibe“, erzählt Tontechniker Eddie Kramer. „Der Richtungswechsel in der Musik war sofort offensichtlich, und das lag an ihren gemeinsamen Wurzeln – der R’n’B, der Funk. Sie wuchsen mit diesen Klängen auf und tourten durch die schwarzen Clubs.“

„Musikalisch waren wir wie siamesische Zwillinge“, sagt Cox und lacht. „Wir waren gemeinsam im 101st-Airborne-Regiment gewesen. 20 Minuten, nachdem wir einander kennengelernt hatten, jammten wir schon. Ein Grund dafür, dass Jimi mich nach all den Jahren anrief, war dass mein Kopf ein Archiv der Riffs war, die wir in der Vergangenheit erschaffen hatten.“ „Sie schrieben sehr viel“, sagt Kramer. „Ich erinnere mich, wie ich ein Vierspur-Tonbandgerät da raufschleppte, und ›Dolly Dagger‹ war eines der Demos, an denen wir arbeiteten. Dann nahmen wir im Record Plant eine Version davon auf, die so la la war. Bei Electric Lady bekamen wir es dann endlich hin. Das war alles Teil der Erfahrung, wie Jimi an einem Song arbeitete, um ihn zu perfektionieren. Und ›Dolly Dagger‹ ist ein komplexer Song.“

Rückblickend passt diese Komplexität des Stücks zu der Frau, die den Text dazu inspirierte. Devon Wilson war 1943 in Milwaukee auf die Welt gekommen und als Teenager von zu Hause weggelaufen. „Sie war ein gemischtrassiges Kind und hatte ihr ganzes Leben auf der Straße gelebt“, erklärt Cox. Irgendwann landete sie in New York, wo sie Teil der Nachtclubszene wurde. Und dort begegnete sie Hendrix. „Sie hatten eine sehr enge Beziehung“, so Kramer. „Devon war eine Präsenz. Sehr schön, sehr bestimmend, ziemlich kantig. Aber sie war lustig.“ Devon hielt Jimi bei Laune, indem sie Drogen für ihn auftrieb, ebenso wie Mädchen für Dreier. Doch je enger ihr Verhältnis wurde, desto mehr erwartete sie, seine Nummer 1 zu sein. „Devon war bei den Sessions dabei und versuchte, nicht zu viel zu sagen“, sagt Kramer. „Aber sie war viel Aufmerksamkeit gewohnt. Als Jimi mitten in den Aufnahmen war, konnte es manchmal schwer sein, ihr diese Aufmerksamkeit zu geben.“

Diese Dynamik führte zu dem Vorfall, der im Mittelpunkt des Textes steht. Am 27. November 1969, Jimis 27. Geburtstag, besuchten er und Devon ein Konzert der Rolling Stones im Madison Square Garden. Da es sein Geburtstag war, erwartete Jimi eventuell, zu seinen Freunden auf die Bühne zu kommen und mit ihnen zu spielen. Doch Mick Jagger teilte nur ungern das Rampenlicht, also kam es nicht dazu. Danach schmiss Devon eine Party für die Stones in einem Luxusapartment, das sie sich geliehen hatte. Sie flirtete den ganzen Abend schamlos vor Hendrix’ Augen mit Jagger. Micks Rivalität mit Jimi ging über die Bühne hinaus. Ein paar Jahre zuvor hatte Jimi versucht, Jaggers Freundin Marianne Faithfull abzuschleppen. Irgendwann schnitt sich Jagger am Finger. Statt ein Pflaster zu holen, leckte Devon das Blut ab. „Daher kommt die Zeile ‚She drinks the blood from a jagged edge‘“, erklärt Kramer.

Nachdem der Rhythmustrack bei Electric Lady aufgenommen worden war, legte Jimi noch weitere Gitarren, Backing-Vocals und Fußstampfen darüber. ›Dolly Dagger‹ war für den Nachfolger von BAND OF GYPSYS bestimmt, doch wurde dann für einen Filmsoundtrack verwendet, den Hendrix’ Manager Mike Jeffery zusammenstellte. Wie die neue Dokumentation „Music, Money And Madness: Hendrix in Maui“ darlegt, war dieser Film namens „Rainbow Bridge“ ein Mischmasch aus undurchsichtigen Deals und ungeskripteter Albernheit. Das einzig Gute daran war die Landschaft – und Jimis umwerfende Performance.

„Es war am Hang eines inaktiven Vulkans namens Haleakala, was ,Haus der Sonne‘ bedeutet“, so Cox. „Ich weiß noch, wie wir zur Bühne gingen, Jimi mich ansah und sagte: ‚Mann, ist das seltsam. Spürst du diese Schwingungen?‘ Da herrschte eine starke Energie. Doch als wir spielten, war es magisch. Jimi hatte die totale Kontrolle. Ich hätte auch einhändig spielen können, denn es war so spirituell.“ ›Dolly Dagger‹ erschien am 9. Oktober 1971 auf dem posthum veröffentlichten Album RAINBOW BRIDGE und am 23. Oktober auch als Single.

Jimi erlebte weder die Veröffentlichung des Films noch die des Soundtracks (er starb am 18. September 1970). Die funkigere Richtung, die ›Dolly Dagger‹ andeutete, fügte seiner Geschichte ein weiteres Fragezeichen hinzu. „Wenn er überlebt hätte, glaube ich, dass er heute sein eigenes Imperium hätte“, sagt Kramer. „Er hätte sein Leben auf die Reihe bekommen und großartige neue musikalische Richtungen gefunden. Sein Platz in der Historie wäre noch bedeutender als heute.“ „Jimi war ein kosmischer Bote, der Musik als Mittel sah, um Menschen zusammenzubringen“, sagt Cox. „Er war global, bevor der Rest der Welt global war. Seine Musik ist im 21. Jahrhundert genauso relevant, wie sie es im 20. war. Und im 22. und 23. Jahrhundert wird sie es wahrscheinlich immer noch sein.“

Und Dolly Dagger selbst? Devon Wilson fand ein frühes Ende, als sie 1971 aus einem Fenster im achten Stock des Chelsea Hotel stürzte. Was hielt sie von dem Song, der sie zu einem Teil der Geschichte machte? „Auf eine perverse Weise fand sie ihn wahrscheinlich super“, so Kramer. „Nicht so sehr, weil er ihr Ego befriedigte, sondern weil er etwas über sie verriet. Auch wenn er negative Aspekte enthielt … hey, stell dir vor, es ist 1970 und Jimi Hendrix schreibt einen Song über dich!“

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