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Mark Knopfler im Interview: „Ich bin kein Schwarzmaler“

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Mark Knopfler im Interview: „Ich bin kein Schwarzmaler“

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Der frühere Chef der Dire Straits über die gefährliche Polarisierung der Gesellschaft, „Klimakleber“, Bob Dylan und Van Morrison, seine Söhne, kindische Beste-Gitarristen-Listen und Newcastle Unite.

Schon anstrengend gerade: Rechtsradikale fühlen sich so stark wie lange nicht , Antisemitismus erlebt ein Revival und gut die Hälfte aller Deutschen mit Einwanderungsgeschichte fürchtet sich vor Massenabschiebungen, wie eine Umfrage des ARD-Magazins Panorama ergab. Logisch, dass diese Rechtsdrift – nicht nur bei uns – auch Brexit-Gegner Mark Knopfler nicht egal ist. Im neuen Song ›This One’s Not Going To End Well‹ diagnostiziert er, dass vergangen geglaubte Zeiten gerade aus der Hölle zurückkommen.

Und so wurde das Gespräch – eine Stunde Zoom-Interview aus seinem Arbeitszimmer in London – recht schnell politisch. Knopfler macht klar, was er von Extremisten hält, besteht aber trotzdem darauf, Optimist zu sein; gerade was den Klimawandel angeht. Um Musik geht’s freilich auch. Nicht nur bringt der frühere Frontmann der Dire Straits im April seine zehnte Soloplatte ONE DEEP RIVER raus, die erste seit sechs Jahren – gerade hat er außerdem zusammen mit mehr als 60 Kollegen, darunter Bruce Springsteen, Eric Clapton, Joan Jett und Ringo Starr, seinen Soundtrack-Song ›Going Home (Theme From Local Hero)‹ von 1983 neu aufgenommen.

Die Einnahmen gehen an die Krebshilfe. Ebenfalls im April, zum Record Store Day, kommt das Mini-Album THE BOY, das in die kriminelle Unterwelt der 50er- und 60er-Jahre eintaucht. Knopfler verrät, wer seine größten Idole sind, warum er heute nicht mehr
auf Konzerte geht, dass er sich selbst für keinen herausragenden Gitarristen hält und was er über ein Leben nach dem Tod denkt. Aber jetzt zuallererst zum Sport.

Seit deinem letzten Album DOWN THE ROAD WHEREVER sind sechs Jahre vergangen. Irgendwelche größeren Veränderungen seitdem?
Eigentlich nicht. Ich bin vielleicht in allem noch ein bisschen langsamer geworden. Ich lerne langsam, gehe langsam. Dauernd überholen mich uralte Ladys, die sich gerade ihre Pension abholen. Ich bin halt ein Träumer geblieben.

Du denkst also so viel nach beim Spazierengehen?
Gar nicht unbedingt, meine Beine bewegen sich auch einfach nicht schneller. Keine Ahnung, woran das liegt. Selbst beim Radfahren treten alle anderen irgendwie schneller in die Pedale. Echt erstaunlich. Ich hab da mal was über diesen berühmten Quarterback in der NFL gelesen: Tom Brady. Der hat als junger Spieler verzweifelt versucht, es zum Profi zu schaffen. Bei einer Talentsichtung hat er dann vor sich auf dem Boden zufällig einen Zettel mit der Notiz eines Scouts gesehen, der ihn als furchtbar behäbig beschrieb. Langsam, langsam, langsam – mit drei fetten Ausrufezeichen dahinter. Das hat den Unterschied gemacht. Nachdem er das gesehen hatte, entwickelte sich Brady zum besten Quarterback der Welt. Er wurde zum absoluten Meister, was das perfekte Timing angeht. Sowas ist mir nie gelungen, haha.

Apropos Sport: Wie läuft’s eigentlich bei deinem Lieblingsclub Newcastle United? Vor zwei, drei Jahren ist dort ja ein saudischer Investor eingestiegen.
Es läuft großartig. Das Problem ist nur, dass die Erwartungen viel zu hoch sind. Die Leute sind zu ungeduldig. Weißt du, wie lang es gedauert hat, bis Manchester City irgendwas gewonnen hat, nachdem sie auf einmal so viel Geld hatten?

Vermutlich recht lange …
Acht Jahre!

Gehst du noch hin und wieder ins Stadion?
Nein, ich bin eigentlich immer in London. Wobei, relativ bald komm ich wieder rauf, weil wir die neue Charity-Single im St. James’ Park in Newcastle vorstellen, also auf dem Fußballplatz. [Am 15. März ist die bereits erwähnte Charity-Single ›Going Home (Theme From Local Hero)‹ erschienen, deren Einnahmen den Krebshilfe-Organisationen Teenage Cancer Trust und Teen Cancer America zugutekommen; Anm. d. Red.]

An den Aufnahmen waren mehr als 60 Musiker beteiligt, darunter Bruce Springsteen, Eric Clapton, Ringo Starr und Joan Jett. Wie kam’s dazu?
Die beiden Organisationen haben das angeleiert, mein Produzent Guy Fletcher hat dann die Leute zusammengetrommelt. Echt berührend, was da zurückkam. Wir mussten am Ende sogar zwei Versionen machen – eine fürs Radio und eine, die ewig lang ist, neun Minuten oder so.

Wie geht das überhaupt, so viele Musiker in einem einzigen Track?
Im Grunde geht es gar nicht, aber Guy hat es irgendwie fertiggebracht. Es dürfte die letzte Performance von Jeff Beck überhaupt sein. Phänomenal! Hank Marvin ist auch dabei, er klingt besser denn je.

Alle spielten also kurze Parts?
Genau, anders würde es den ganzen Tag dauern. Die meisten schickten uns ihre Beiträge zu. Aber Pete Townshend kam zum Beispiel bei mir im British Grove Studio vorbei, genauso Eric oder auch David Gilmour.

Dein neues Album ONE DEEP RIVER ist mit deiner etatmäßigen Band um Guy Fletcher entstanden. Eines der Stücke, die sich mir beim ersten Durchhören am stärksten eingeprägt haben, ist ›Tunnel 13‹. Wahrscheinlich, weil es eine zusammenhängende, noch dazu wahre Geschichte erzählt.
Es geht um die drei De Autremont-Brüder, die 1923 in den Wäldern von Kalifornien einen Zug überfielen und vier Leute ermordeten. (greift sich eine Akustikgitarre) Diese Gitarre hier ist aus Redwood-Holz. Arthur Boswell hat sie gebaut, es ist das MK-Modell mit der kleinen Brücke auf dem Steg, die auch auf dem Albumcover drauf ist. Irgendwo habe ich gelesen, dass sie die kalifornischen Redwoods früher zur Stabilisierung der Eisenbahntunnel verwendet haben, teilweise ist es immer noch dort verbaut. Heutzutage geht das gar nicht mehr, weil die Bäume längst unter Naturschutz stehen. Die Geschichte im Song ist auch deshalb so interessant, weil es echt schwer ist, ein Motiv für ein derart brutales Verbrechen zu finden. Doch dann habe ich herausgefunden, dass der Anführer der drei Brüder Mitglied bei den Industrial Workers Of The World war, einer linken Arbeitervereinigung. Ich glaube, dass das seine Wut befeuert hat. Offensichtlich ging es ihnen um die Schere zwischen Arm und Reich, vielleicht hegten sie auch eine generelle Abneigung gegen das Establishment – ich sehe darin sogar Parallelen zu Baader und Meinhof. Eines der Motive der DeAutremont Brothers, das ist meine These, war einfach Hass auf das System.

Also ein linksradikales Motiv?
Ja, daher die Wut. Das hat nichts Glamouröses, es war ein furchtbares Ver- brechen. Vier Männer wurden sinnlos ermordet.

In den Lyrics heißt es: „Tunnel 13 is the place in the song, where the beautiful redwood for my guitar came from.“ Ging es dir um eine subtile Form der Rache: Ihr begeht dieses Verbrechen und hundert Jahre später erzähle ich davon mit meiner Gitarre aus demselben Wald?
Es ging mir nicht aus dem Kopf, dass das Holz für die Gitarre vielleicht sogar aus demselben Tunnel stammt, in dem der Überfall stattfand. Das hat natürlich eine schöne Ironie.

Reizte dich die Geschichte auch deshalb, weil heutzutage wieder eine Menge Leute Wut auf das „System“ zu haben scheinen, was auch immer sie im Einzelnen darunter verstehen?
Nicht unbedingt. Aber eine Geschichte wie diese bleibt immer relevant. Es geht um Raub und Plünderei. In Amerika werden bis heute jeden Tag Züge ausgeraubt.

In ›This One’s Not Going To End Well‹ singst du folgende interessante Zeilen: „They whip up old lies to ride into power, and history Comes back from hell“. In ganz Europa erstarken seit Jahren rechte Parteien, Trump könnte wieder US-Präsident werden, in Italien regieren Postfaschisten. Ging dir das durch den Kopf, als du das geschrieben hast?
Yep, absolut. Alles wird immer polarisierter, und sowas kommt dann davon. Es ist zunehmend schwer, durch den Rauch zu sehen, weil viele Leute ihre Informationen aus weiß Gott welchen Quellen bekommen. Bis sie nicht mehr wissen, was sie da eigentlich lesen und sehen. Jeder wirft dem anderen die gleichen Sachen vor. Fake News, Fake News …

Früher wurde Zeitung gelesen, so ziemlich jeder hat die Fernsehnachrichten geschaut – es gab diesen gemeinsamen öffentlichen Raum, den sich alle teilten. Auch durch die sozialen Netzwerke funktioniert die öffentliche Wahrnehmung heute viel zersplitterter. Ist das ein Problem?
Ja, klar. Das Pendel der Geschichte schwingt heute stärker und gewaltvoller als in den 30 oder 40 Jahren davor, die Reaktionen auf beiden Seiten fallen extremer aus. Es gibt Rechtsextremisten und Linksextremisten, die einen bedingen die anderen.

Hältst du beide für gleich gefährlich?
Ja, finde ich schon. Ob links oder rechts, alles wird politisiert. Als rauskam, dass der König Krebs hat, dauerte es nicht lang, bis die Linken gemurrt haben: Um meinen Krebs würde sich keiner so viel scheren. Mich würde keine ganze Gruppe von Ärzten behandeln, wie den König … Sowas kommt natürlich erst recht, wenn man eh schon eine Abneigung gegen das System hat … Genauso, wenn es halt mal länger dauert, bis die Leute einen Termin beim Zahnarzt kriegen … Wie lang ohne Essen, wie lang ohne Job, wie viele braucht es, bevor die Leute endlich aufhören, alles Mögliche für ihre Situation verantwortlich zu machen?! Die Ironie dabei ist, dass die extreme Linke sich der extremen Rechten annähert.

Trotzdem erscheint mir die linke Perspektive nachvollziehbarer, denn es ist ja tatsächlich so, dass es große Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt – was man als Grund nehmen könnte, gegen das System zu sein.
Dieses Gefälle gibt es, ja. Andererseits kann ich einen jungen Arzt auch gut verstehen, der sechs Jahre studiert hat und hart arbeitet – und dann kommt er nicht ins Krankenhaus, weil die Bahnangestellten mal wieder streiken und mehr Geld wollen. Dabei ist die einzige Ausbildung, die sie brauchen, „Bitte zurückbleiben!“. Das ist was anderes als sechs Jahre Medizinstudium. „Bitte zurückbleiben!“ – ihr werdet recht gut bezahlt, dafür, dass ihr das gelernt habt. Es gibt halt immer auch die andere Perspektive, das will ich damit sagen.

In Deutschland gab es gerade riesige Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Hunderttausende gingen in den Großstädten auf die Straße.
Ja, wegen eurer Geschichte. History comes back from hell … Ich verstehe, dass viele Leute das so verstörend finden, aber nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt.

Hast du Angst um unsere westlichen Demokratien?
Ähm … ja. Und du?

Das vollständige Titelstory-Interview mit Mark Knopfler lest ihr in CLASSIC ROCK #128. Jetzt hier versandkostenfrei online bestellen.

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